Die Hitze hat uns wieder. Die ersten Tage stöhnen, ächzen und schwitzen wir. Unsere während der letzten Wochen erbleichte Haut, muss sich erst wieder an die karibische Sonne gewöhnen. Wir schleichen von Schatten zu Schatten und achten pingelig auf bedeckte Haut.

Wir sind gerade zu Besuch bei Freunden, als wir die rabenschwarze Wand hinter uns bemerken. Die Wolken werden durch einen waagrechten hellen Steifen durchbrochen, was nichts gutes verheisst. Wir werden unruhig und verabschieden uns – keine Sekunde zu früh. Noch während wir mit unserem kleinen Dinggi durch die Dämmerung tuckern, nimmt der Wind rasant zu und mit ihm auch die Wellen. Wir schaffen es gerade noch zu unserem Boot, bevor der Trubel losbricht. Die Welt verändert sich innert minuten und scheint nun untergehen zu wollen. Die Böen sind stark und das Schiff zerrt an der Ankerkette. Es ist gespenstisch. Die vergangen Landwochen haben Spuren hinterlassen, ich spüre es an meiner Nervosität. Irgendwann mitten in der Nacht flaut der Wind so schnell ab, wie er gekommen ist.
Dieses Unwetter war nicht vorhergesagt und kam deshalb einigermassen überraschend. Dass noch immer Hurrikan Saison ist, bleibt aber nicht unbemerkt. Zwei Stürme, Ian und Julia, ziehen über uns hinweg, wachsen aber glücklicherweise erst später zu Hurrikanen heran. Ian sorgt für schlimme Verwüstungen in Kuba, Florida und South Carolina. Es ist stets beklemmend, wenn sich etwas zusammenbraut, schliesslich weiss man schlussendlich nie, was denn nun wirklich kommt.
Nun sind wir schon wieder einige Wochen vor Ort und noch immer hat sich kein passendes Wetterfenster für unsere Fahrt nach Kolumbien ergeben. Deshalb beschliessen wir – vor allem zu Gunsten eines Tapetenwechsels – zumindest auf die Nachbarinsel Aruba abzureisen. Als wir jedoch den Anker heben wollen, tut sich bei der Ankerwinsch gar nichts mehr. Ein müdes Surren ist alles, was sie noch von sich gibt. Was nun? Unseren Riesenanker von Hand zu heben, würde in eine grössere Feuerwehrübung ausufern. Und ein Notankern sollte auf dem Weg nach Kolumbien ohnehin in jedem Fall möglich sein. Eine neue Ankerwisch wäre wohl erst in Wochen erhältlich und Ob wir die alte flicken können, steht in den Sternen.
Da ist es wieder: Von einer Minute auf die andere werden sämtliche Pläne über den Haufen geworfen. Wir beginnen die Winsch auseinander zu nehmen, wobei dies beim Ankern schon ein eigenartiges Gefühl hinterlässt. Man sägt sich fast ein bisschen den Ast ab, auf dem man sitzt. Nach zwei Tagen schwitzen, fluchen, hoffen und bangen, bringen wir das gute Stück tatsächlich wieder zum Laufen – und zwar so glatt wie noch nie. Schön und gut, doch das Wetterfenster nach Aruba hat sich in der Zwischenzeit geschlossen.
Die Lagune Spanish Water glänzt nicht mit dem saubersten Wasser – dies kann man gut an unserem Unterwasserschiff sehen. Der Bewuchs ist überall und fünf bis zehn Zentimeter lang – ein richtiger Bremsklotz beim Segeln.
Also steigen wir mit Taucherbrille und Flossen bewaffnet in das dämmrige Wasser und beginnen in mühsamer Handarbeit mit der Säuberung – man bedenke dabei, dass unser Kiel über zwei Meter tief im Wasser liegt. Ich mache diese Arbeit nicht ungern, doch dieses Mal erblicke ich auf meinem ganzen Arm plötzlich unzählige kleine Krebse. Und sie sind nicht nur auf dem Arm, sie sind überall. Ich unterdrücke eine erste hysterische Reaktion und putzte weiter. Tatsächlich sitzen die kleinen Tierchen in unserem Schiffseigenen Garten und sind alles andere als zufrieden, wenn sie aus dem Paradies vertrieben werden. Sie klammern sich am nächstbesten fest – und das bin nun mal ich. Als die kleinen Freunde schliesslich zu kneifen beginnen, kann ich nicht mehr an mich halten. Immerhin haben wir fast das ganze Schiff geschafft, als ich die Flucht antrete. Die Dinger sind hartnäckig und gehen auch unter der Dusche nur mit Nachdruck weg.
Die Strecke nach Kolumbien ist berüchtigt. Einige Weltumsegler beschreiben ebendiesen Teil als den schlimmsten ihrer ganzen Reise. Der Wind ist meist doppelt so stark wie angesagt und die Wellen sind aufgrund einer Gegenströmung und der rasant ansteigenden Tiefenlinie sehr unangenehm und hoch. Zudem lauern vor der kolumbianischen Küste Gewitter. Wir sehen Nacht für Nacht wie sie sich dort austoben. Dazu kommen im Moment unzählige tropische Wellen – Schlechtwetterphasen – die in erschreckender Regelmässigkeit über uns hinwegziehen. Es ist eine knifflige Sache, mit all diesen Faktoren den richtigen Zeitpunkt zu finden. Und schliesslich, nach vier langen Wochen, beschliessen wir, dass unsere Zeit nun gekommen ist. Wir freuen uns, sind angespannt und bereit.

Es ist kaum Wind angesagt, weshalb wir damit rechnen, viel unter Motor fahren zu müssen. Doch es verhält sich wie angenommen, der Wind ist deutlich stärker als angesagt und wir können segeln. Die ersten Tage und Nächte auf See sind schön und friedlich – es hat uns gefehlt. Ganze drei Delfinschule besuchen uns in diesen Tagen. Wir wählen eine längere Route, doch durch den weiten Abstand zur Küste und Strömung werden wir vom unangenehmem Wellengang verschont. Unser grossräumiger kurs um die Küste kommt uns auch bei der Einmündung des Rio Magdalena zu Gute. Dieser führt nämlich ganze Baumstämme mit sich und trägt diese ins Meer. Dort werden sie von der Strömung erfasst und kommen uns entgegen. Immer wieder taucht Holz vor uns auf – und zieht zum Glück vorbei.
Doch dann kommen die Gewitter. Gesehen haben wir sie schon lange, doch in den letzten beiden Nächten sind wir bei ihnen – Und schliesslich mittendrin. Es blitzt über Stunden, wo man nur hinsieht. Immerhin gelingt es uns, am Rand der ganz grossen Zellen zu bleiben, doch ist es noch immer viel zu nah. Ich schaue irgendwann nicht mehr hin und drücke die Daumen – und es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, ich hätte keine Angst gehabt. Aber welch wunder, man gewöhnt sich sogar an solche umstände. Jedenfalls kommen wir ungeschoren davon.

Als wir die Silhouette von Cartagena auftauchen sehen, sind wir glücklich. Ein weiterer Meilenstein, der uns einiges Kopfzerbrechen beschert hat, liegt nun hinter uns. Die Müdigkeit macht einer dicken Portion Euphorie Platz!
