Unsere allererste Einschätzung ‘eine weitere Insel mit einer weiteren Palme darauf’ revidieren wir sehr schnell. Die Inselgruppe der Marquesas ist ein Juwel. Es sind viele, eher kleine Inseln mit verwirrenden Namen wie Hiva Oa, Nuku Hiva, Fatu Hiva, Ua Pou, Tahuata, Ua Huka. Es handelt sich um Vulkane, die mitten aus der Wasserwüste aufragen. Tatsächlich fällt das Meer rund um die Insel sehr steil ab, bereits wenige Meilen ausserhalb ist es mehrere Tausend Meter tief. Es ist eine eigentümliche Vorstellung, dass wir uns eigentlich gerade auf den Gipfeln von 4000er tummeln.
Die Marquesas gehören definitiv zu den letzten Paradiesen dieser Erde. Sie befinden sich völlig isoliert mitten im Pazifik. Einige wenige Versorgungsschiffe drehen ihre Runden, ansonsten werden sie nur von kleinen Propellermaschinen auf teilweise halsbrecherischen Landepisten von Tahiti aus angeflogen. Man munkelt von einem internationalen Flughafen, der in Nuku Hiva gebaut werden soll. Mit dessen Realisierung wird sich bestimmt vieles ändern und die Ursprünglichkeit geht dann wohl verloren.
Wir sind begeistert von den unglaublich herzlichen, interessierten und liebenswerten Menschen. An den Haustüren gibt es keine Schlösser und kein dinghy ist angekettet. Wir fühlen nicht den Hauch einer Bedrohung – solange man nicht gegessen wird 😊, ist es ein Traum. Der Unterschied zur Karibik ist diesbezüglich jedenfalls frappant. Wir dachten, es seien Geschichten von früher, doch auch wir erleben immer wieder, dass wir mit Früchten und Fisch reich beschenkt werden. Die Menschen nehmen ihren Garten sehr ernst – sie hegen und pflegen die Pflanzen und lassen die schönsten Blumen gedeihen. Die Umgebung der Häuser ist äusserst gepflegt und ansehnlich.
Leider verlieren wir bereits in den ersten Tagen auf den Marquesas die Membran unseres Wassermachers. Zuerst fallen wir deshalb in eine fundamentale Krise – doch die Zeit heilt auch diese Wunde. Aus ist es mit der Unabhängigkeit und den verschwenderischen Süsswasserduschen nach dem Bad im Meer. Wie im vorherigen Jahrhundert heisst es nun wieder Wasserschleppen und salzig ins Bett. Janusode – auch daran gewöhnen wir uns wieder- und zum Glück haben einige Inseln ganz fantastisches Wasser und wir doch immerhin für 700 Liter Platz im Tank.
Die maritime Tierwelt ist ein Traum. Die Delfine schwimmen direkt ums Schiff. An vielen Orten pflügen die riesigen, sympathischen Mantarochen durchs Wasser. Als sie uns zum ersten Mal beim Schwimmen begegnen, haben wir noch Bammel – gross wie sie sind, machen sie gehörig Eindruck. Doch unsere Recherchen beruhigen uns schnell. Die dunklen Riesen ernähren sich fast ausschliesslich von Plankton und haben im Gegensatz zu manch anderer Rochenart nicht einmal einen Giftstachel am Schwanz. Wir mögen sie sehr. In einer Bucht befindet sich die Kinderstube der schwarzspitzenhaie direkt unter unserem Schiff. Abend für Abend kommen die jungen Haie und ziehen ihre Bahnen – und all das sehen wir einfach so, direkt aus der guten Stube.
Wir mieten in Nuku Hiva ein Auto, ein rassiger grüner suzuki Jimny und lassen uns von der vielfältigen Flora des Hochplateaus überraschen. Als wir verblüfft mitten durch Tannenwälder fahren, rufen die Kinder begeistert: Das riecht hier ja wie in der Schweiz. Wir geniessen die für einmal gemässigten Temperaturen in tausend Metern über Meer.
Unsere Inselrundfahrt in Ua Pou – immerhin mit einem riesigen Toyota Hilux – ist landschaftlich etwas weniger spektakulär. Umso herausfordernder ist dafür die Strasse. Das erste Mal überhaupt ist ein 4×4 wirklich von Nöten.
In Hakahau, dem Hauptort von Ua Pou, finden wir eine Bäckerei, die stilechte Croissants und Pains au Chocolat verkauft. Tatsächlich verzerrt sich mein Geist bereits seit Wochen nach derartigem Gebäck. Der einzige Haken: Die Marquesaner entpuppen sich als sagenhafte Frühaufsteher. Bereits um 8.00 Uhr morgens ist beim Beck nichts mehr zu wollen, die Regale sind leer. Es ist tatsächlich so – die meisten Insulaner legen sich um 19.00 Uhr spätestens 19:30 Uhr ins Bett und um 5:00 Uhr beginnt das Leben wieder zu pulsieren. der frühe Vogel fängt den Fisch!
Gemüse ist Mangelware. Das wenige, was das Versorgungsschiff mitbringt, ist innert Tagesfrist ausverkauft. Nur selten treffen wir Einheimische, die Gemüse anbieten. Wieso wird bloss nicht mehr angebaut, schliesslich sollten die Bedingungen nicht übel sein? Man erklärt uns, dass die meisten auf einen Gemüsegarten schlichtweg keine Lust haben. Sie geniessen ihre Bäume – kein Wunder bei diesem Segen von Früchten. Die Pampelmusen sind riesig und schmecken süsser, als alles was wir kennen. Mangos als Fallobst – für uns eine Unvorstellbarkeit. Mangobäume sind übrigens wunderschöne, meist mächtige und offenbar oft alte Bäume. Wir beissen in Sternfrüchte als wären es Äpfel – und fühlen uns dabei schier dekadent.
Überall, und damit meine ich wirklich überall, hat es Hühner und Gockel. Wir liegen in einer unbewohnten Bucht, die Hänge eingefasst mit dichtem Wald und Palmen und am Morgen kräht scheinbar alle 50 Meter mitten aus dem Wald ein Hahn. Wir fragen uns, was es mit dem Geflügel auf sich hat. Auf die Frage, ob die Tiere jemandem gehören, ob sie gegessen oder zumindest die Eier gegriffen werden, ernten wir verständnislose Blicke. Offensichtlich ist nichts davon der Fall – sie sind halt einfach hier. Okay – und trotzdem schwer zu verstehen mit unserem Effizienzdenken.
Der Gemeinschaftssinn der Menschen ist gross. Sie, oder vor allem die Frauen aller Generationen, lieben es, am Wochenende Bingo zu spielen. Es sei eine Sucht, gesteht uns der allein gelassene Ehemann. Und wir hören sie singen. Aus Frauen- und Männerchören erklingt ihr wundersamer Gesang. Und zwar nicht als Folklore für die Touristen gedacht, sondern ganz einfach abends aus der Gemeinschaftshalle – weil sie es wollen und können. So schön das menschliche Miteinander sicherlich ist, stellen wir es uns aber ziemlich eng und schwierig vor, wenn man aus welchen Gründen auch immer, nicht hineinpasst oder nicht hineinpassen will.
Diese Inseln waren seit Anbeginn das erklärte Ziel von Patrick – hier wollte er unbedingt hin. Und er hatte recht damit. Sie sind anders, einzigartig, traumhaft, einmalig.
Vielen herzlichen Dank für den spannenden Bericht und die wunderschönen Bilder aus einer anderen Welt.
Wenn ich den Bericht über die Inselbewohner lese, erinnert mich das an Heinrich Bölls Anekdote aus dem Jahr 1963.
Ein Tourist trifft in einem Hafen am Meer auf einen Fischer, der in der Nachmittagssonne in seinem Boot vor sich hindöst.
Die Verhältnisse seien günstig, warum er nicht auf See sei und Fische fange, möchte der Tourist wissen.
Er sei bereits am frühen Morgen draussen gewesen und habe genug Fische gefangen, um die nächsten zwei Tage davon leben zu können, antwortet der Fischer.
Er solle sich doch vorstellen, was er alles machen könnte, wenn er mehr Fische fangen würde:
«Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen können, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren könnten Sie vielleicht einen kleinen Kutter haben, mit zwei Booten oder dem Kutter würden Sie natürlich mehr fangen. Sie würden ein kleines Kühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Konservenfabrik, Sie könnten ein Fischrestaurant eröffnen – und dann…»
«Was dann?»
«Dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen – und auf das herrliche Meer blicken.»
«Aber das tu ich ja schon jetzt», sagt der Fischer, «ich sitze beruhigt am Hafen und döse, nur Sie haben mich dabei gestört.»
Der Tourist zieht nachdenklich davon, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen.