Lachendes und weinendes Auge

Wir landen in der wunderschönen Bay of Island in Opua an. Die Zollformalitäten sind nicht ohne – will doch Neuseeland seine Arten bewahren und keine unerwünschte Neuankömmlinge im Land haben. Doch nur eine Muschel müssen die Kinder abliefern, alles andere dürfen wir einführen. Wir sind begeistert vom angenehmen Klima in Neuseeland und von den herrlichen, üppigen, unglaublich vielfältigen Wäldern.

Wir geniessen es, allzeit im Dorfladen einzukaufen, der sämtliche Bedürfnisse mehr als genug decken kann. Patrick kommen schier die Tränen, als er seinen geliebten frischen Koriander kaufen kann. Endlich wieder einmal ein 3-Minuten-Ei und etwas Fleisch zwischen den Kiemen. Unser erster Brunch ist ein Hit. Fast zu schnell gewöhnen wir uns wieder an Standards, wie eine Süsswasserdusche, ein ausladendes Sortiment im Lebensmittelladen und absolut keine Bedrohungen welcher Art auch immer.

Die Bay of Island ist traumhaft schön – sie scheint ein beliebter Ferienort der Gutbetuchten zu sein. Fast zu schön ist alles, zu gepflegt, zu gross und prächtig die Häuser. Wir geniessen die Zeit dort, schauen uns die Umgebung an, lassen es ruhig angehen.

Unser letzter Törn führt uns nach Whangarei. Die Stadt liegt etwa sechzig Meilen südlich, am Ufer eines Flusses, dessen Lauf wir etwa fünfzehn Meilen hinauffahren. Der Gezeitenunterschied beträgt rund drei Meter, weshalb wir die Einfahrt gut timen müssen. Kurz vor der Stadt funken wir die Brückenwacht an, damit der Verkehr gestoppt, die Brücke gehoben und wir passieren können. Ganz zum Schluss noch ein weiteres erstes Mal – bevor wir in unseren letzten Hafen einlaufen.

Wie es uns damit geht? Es ist in Ordnung! Alle in unserer kleinen Familie freuen sich wieder auf das Landleben – Landratten wollen wir nun wieder sein. Es war eine schöne, intensive, abenteuerliche, herausfordernde, unvergessliche Reise, welche uns schliesslich um die halbe Welt, über zwei Weltmeere und über viele kleine und grosse Hürden geführt hat. Die Hochs waren himmelhoch und die Tiefs manchmal bodenlos. Wir sahen unglaublich viele wunderschöne, unfassbare Sachen, lebten sehr nahe an der Natur. Jeden einzelnen Vollmond haben wir bewundert. Es ist bezeichnend, dass die letzten Vollmonde unbemerkt an uns vorübergegangen sind – schon haben wir uns wieder von der Natur entfernt. Wobei wir dies anderseits auch geniessen. «A storm is rolling in» wird zum geflügelten Satz. Wenn dies zuvor für Angst und Schrecken oder zumindest für angespannte Nerven gesorgt hat, erfreuen wir uns der Sorglosigkeit, mit welcher wir nun dem Wetter begegnen können.

Langsam versuchen wir uns wieder an ein gewisses mass an Normalität zu gewöhnen. Insbesondere die Kinder benötigen eine Extraschulung in Normen. Auf dem Lehrplan stehen banale Dinge wie: Wie oft wechselt man Kleider oder wie oft duscht man sich. Eine schwierige Lektion ist, was man wo in welche Toilette machen kann, wann wirft man das Papier in die Toilette und wann spült man. Welches Wasser aus welchem Hahn kann man trinken. Ach, und abwaschen tut man eigentlich mit heissem Wasser? Eine ganz neue Welt eröffnet sich da den Kindergeistern.

Den Kindern gefällt es in Whangarei sehr gut. Es ist eine lebendige, engagierte Stadt, in der immer wieder etwas läuft. Festivals, Parkruns, Theater, Konzerte reihen sich aneinander. Die Kinder üben sich wöchentlich im Parcours, üben sich mit den anderen Kindern am Steg in Gruppendynamiken und Englisch.

Weihnachten und Silvester ziehen ins Land.

Wir mieten ein Auto und machen eine Tour auf der Nordinsel. Am allerbesten gefallen uns die sagenhaften Wälder und die wilden Flüsse.

Die vulkanischen Aktivitäten riechen zwar übel, sorgen aber auch für eindrückliche Augenfänge.

Eigentlich hatten wir auch eine Rundreise auf der Südinsel geplant. Doch lassen wir es dann doch bleiben. Wir scheuen uns vor den Distanzen, den Kosten und nicht zuletzt merken wir, dass wir unsere Reisehörner doch etwas abgestossen haben. Eigentlich ein schönes Gefühl, gesättigt und nicht mehr hungrig – zumindest vorerst.

Und wir versuchen irgendwie schlau aus Neuseeland zu werden. So ganz schaffen wir es nicht. Die Natur ist zweifelsohne einzigartig, üppig, wunderschön – und doch scheint es so wild nicht zu sein. Sehr viel ist Kulturland und erinnert oft stark an die Schweiz. Kein Wunder fühlen sich hier viele Europäer sehr wohl. Und doch wird man das Gefühl nicht los, etwas abseits zu sein, weit weg vom Weltgeschehen. Der Naturschutz wird einerseits ganz gross geschrieben und doch haben wir selten so intensiven und invasiven Funsport gesehen wie hier. Wir versuchen, die neuseeländische Gesellschaft etwas kennenzulernen, etwas besser zu verstehen. Zumindest hier in Northland brodelt der KulturenKonflikt  zwischen Weissen und Maoris. Man hört von schlechten Schulen, Drogenmissbrauch, Jugendbanden, vielen Gewaltdelikten, Wohnungsnöten, geringen Einkommen, schlechter Bildung. Nichtsdestotrotz ist es uns hier in Whangarei sehr wohl.

Noch immer befinden wir uns in unserer Segelblase. Und ja, hier ist es normal, dass man wochen- oder monatelang durch endlose Wasserwelten segelt. Jeder tut es, so, dass wir es fast verpassen, dass wir sehr stolz auf uns alle sein können, was wir geschafft und geleistet haben. Sobald wir die Blase verlassen, werden vermutlich nur sehr wenige Menschen fassen können, was wir überhaupt gemacht haben.

Nun nachdem einige Wochen ins Land gezogen sind, kommt es uns manchmal fast unwirklich, ja unfassbar vor, wie wir mutterseelenalleine mitten im Nirgendwo unterwegs waren. Die Erinnerungen scheinen fast wie ein Traum. Zum Glück können wir sie miteinander teilen, zu flüchtig wären sie sonst. Und doch kann ich es mir manchmal schon fast nicht mehr vorstellen, dass wir dies wirklich getan haben. Man stelle sich vor, was da alles hätte passieren können. Ganz offensichtlich haben wir den Sofablick wieder übernommen.

Wir versuchen, unsere nun seit Jahren erschlafften Körper wieder etwas auf Vordermann zu bringen. Da kann man lange mit Training durch Mikrobewegungen aufgrund des Seegangs kommen. Für die Fitness ist segeln das Ende. Umso mehr geniessen wir es, uns wieder zu bewegen, zu wandern, zu joggen. 

Ein weiterer Genuss ist der Freiraum, der jeder einzelne von uns wieder hat. Wir alle können das Boot selbstständig und eigenhändig verlassen und unseren Launen folgen. Nicht jede Bewegung bedarf einem grösseren Familienunterfangen, welches sich unweigerlich in die Länge zieht und an Komplexität gewinnt. Wir alle gewinnen an Leichtigkeit und Unabhängigkeit.

Ein letztes Mal müssen wir uns in Geduld üben. Patrick ist enttäuscht, dass ich es nach drei Jahren noch immer nicht gelernt habe: Keine Ungeduld der Welt macht, dass der Mechaniker schneller kommt, als dass er kommt. Wobei ich finde, ich bin besser geworden, nehme es gelassener – und doch macht es mich manchmal rasend.

Die letzten Wochen auf dem Boot sind anstrengend. Die Emotionen gleichen jenen, als wir die Schweiz verlassen haben: Ein wildes Gemisch aus Freude, Spannung, Trauer, Abschiedsschmerz, Nervosität. Die alte Dame bekommt noch einmal ganz viel Pflege. Wir putzen sie auf Hochglanz und räumen unseren Hausstand. Das Boot liegt nach getaner Arbeit bestimmt 10 Zentimeter höher im Wasser. Unsere treue Gefährtin geben wir nun in die Hände eines Brokers. Hoffen wir, dass ein Käufer sie finden wird. Zumindest das Segelabenteuer endet nun und wir alle stehen hier mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Unsere Reise neigt sich langsam dem Ende zu – aber immerhin, ganz fertig ist sie noch nicht.  

Ein Gedanke zu „Lachendes und weinendes Auge“

  1. Mormor und Farfar möchten der lieben Schwiegertochter Shirin ganz herzlich für den letzten (vierzigsten) Segelbericht danken. Es hat uns erlaubt die Geschehnisse des dreijährigen Segeltörns dank all dieser spannenden Berichte hautnah mitverfolgen zu können. Shirin hat ein ausgesprochenes Flair zum Schreiben und Schildern eindrucksvoller Impressionen unterlegt mit stimmungsvollen, einmaligen Bildern. Wir konnten die Entwicklung unserer Grosskinder (neu mit Zahnlücken) hautnah verfolgen. Aber auch die grossen Fische die Patrick gefangen hat, sind eindrücklich. Das Auswechseln des kaputt gegangen Schekels des Rollfocks auf offener See bei starkem Wind auf dem Mast auf 15 Meter Höhe bedingt Ruhe zu bewahren und geerdet zu sein. Ja ihr könnt richtig stolz auf 30’000 km Seefahrt ohne Havarie gut in Neuseeland angekommen zu sein. Ich habt in dieser Zeit die schönsten Buchten und Inseln dieser Welt entdeckt; abgelegene Orte die nur Segler erleben können. Wir werden von Entzugserscheinungen verfolgt werden, keine Salzwassergeschichten mehr zu erhalten. Eine Anregung an Shirin, evt. auf „Süsswassergeschichten“ umzustellen. Wir können kaum erwarten unsere Familie Mitte Jahr wieder in die Arme nehmen zu können und wünschen eine schöne und sanfte Rückkehr in die „Zivilisation“

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