Geliebter Atlantik

Gibraltar ist ein spezieller Ort. Vermutlich ist es der einzige internationale Flughafen, dessen Landebahn von einer Strasse und einem Fussgängerweg überquert wird.

Es leben 34’000 Gibralteser und Gibralteserinnen auf der Halbinsel und täglich pendeln 10’000 SpanierInnen über die Grenze zur Arbeit. Gibraltar hat ein eigenes Autokennzeichen (GBZ) und eine eigene Währung, wobei diese eins zu eins an das britische Pfund angebunden ist. Es gibt die typischen roten Busse und die nostalgischen roten Telefonzellen. In allerletzter Sekunde ist es Gibraltar nach dem Brexit gelungen, für sich eine Sonderregelung aushandeln.

Natürlich besuchen wir den Affenfelsen – und die Affen wissen was sie tun. Die Gondel hat noch nicht angehalten, als ein Affe bereits einsteigt und sich am Rucksack von Patrick zu schaffen macht. Sie kennen sich jedenfalls mit den Touristen aus.

Der Berg empfängt uns in einer mystischen Stimmung, wir sind umgeben von Wolkenfetzen – ein aussergewöhnlicher Ort, angereichert mit ganz viel Blei von den unzähligen Kämpfen, Angriffen und Belagerungen.

Es ist kalt geworden. Erstmals seit Monaten ziehen wir wieder lange Hosen an. und Wir verbringen die letzten Tage mit David und Christina, bevor sie sich auf den Heimweg in den Schnee begeben. «See you in the Caribbean» ist die Devise.

Schon seit Tagen, wenn nicht Wochen haben wir die Wettervorhersagen genau im Blick. Wir lauern auf ein gutes Wetterfenster für die Überfahrt auf die kanarischen Inseln. Es kann ein sehr gegensätzliches Erlebnis werden, je nachdem welche Bedingungen wir antreffen. Gleichzeitig machen es uns die örtlichen Gegebenheiten schwer, so vieles muss passen. Die Windrichtung durch die Meerenge muss stimmen, gleichzeitig sollte der Wind nicht zu stark sein, was er dort wegen des Düseneffekts gern ist. Zudem muss der Gezeitenstrom zeitlich stimmen, so dass wir ihn nicht gegen uns haben. Und natürlich muss auch der Wind, wie auch die Wellen draussen auf dem Atlantik passen. Immer wieder prallen Stürme auf die irische Küste und bringen dann einige Tage später hohen Schwell in den Süden. Vor der marokkanischen Küste bei Agadir – auf unserem Weg auf die Kanaren – entsteht immer wieder Starkwind. Und eben all diese Faktoren müssen harmonieren, so dass es mit einer friedlichen Überfahrt etwas werden kann.

Natürlich stellen wir uns die Frage, wie lange wir noch auf bessere Zeiten warten können. Je später die Saison, desto unsteter und ungemütlicher die Bedingungen, so sagt man. Wir versuchen, uns weder durch unsere eigene Ungeduld noch durch die Entscheidung anderer Segler, zu falschen Entschlüssen drängen zu lassen – ganz einfach ist dieses Unterfangen nicht. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr beginnen wir uns die Haare zu raufen beim Gedanken daran, was wir hier doch alles noch hätten organisieren können: Dinge bestellen, die zweite Impfung. Hätten wir denn zuvor gewusst, wie lange wir bleiben. Und einmal mehr verlangt uns das Segeln ganz persönlich einiges ab. Schliesslich sind wir jedoch unseres Glückes Schmied. Die Tatsachen ändern nicht, ob wir nun ungeduldig und genervt auf die Abreise warten oder ob wir ganz einfach jeden verbleibenden Tag in dieser unbekannten und interessanten Umgebung geniessen.

Einmal scheint unser Fenster da zu sein, doch in letzter Minute entscheiden wir uns dagegen, der Wind vor Agadir ist zu stark und der Schwell von Irland eben doch zu hoch. Schliesslich, vier Tage später, ist es erneut soweit – alle Vorzeichen sind gut und bleiben es auch: Wir fahren ab!

Wir zirkeln unter Segel zwischen den Frachter durch die Strasse von Gibraltar – und tauchen in den Atlantik ein.

Auch wenn mehrere Whalewatching-Boote direkt vor uns kreuzen, sehen wir – glücklicherweise – kein Meeresgetier. Wir haben uns für eine Route fern der Küste entschieden, weil wir dort auf die besten Windverhältnisse hoffen. Und die Verhältnisse sind gut – vermutlich sogar die besten, die wir bisher je hatten. Es ist eine wahre Freude und eine wirklich schöne Segelei. Die Tage vergehen und wir finden in unseren Segeltrott. Land sehen wir keines mehr, nur eine Handvoll Frachter sehen wir mal von nah mal von fern. Viel zu oft sind sie uns deutlich zu nah – eigentlich erstaunlich bei dieser Masse an Platz auf dem offenen Meer. Am Morgen des dritten Tages besuchen uns Delfine und schwimmen in unserer Bugwelle. Am vierten Tag beginnen die Wellen etwas ungemütlich zu werden und auch der Wind nimmt ein wenig zu, wir fahren gerefft weiter. Bevor der fünfte und letzte Tag anbricht sehen wir die ersten Lichter der Küste von Lanzarote.

Als wir um die letzte Klippe biegen, stellen wir den Autopiloten auf Standby und wollen die Hafeneinfahrt ansteuern – doch irgendetwas stimmt nicht, das Steuer lässt sich nicht mehr bewegen. Nach einem letzten Richtungswechsel zu den Klippen hat der Autopilot das Steuersystem blockiert. Was nun? Patrick springt in Windeseile in die Kajüte, die Matratzen fliegen in alle Richtungen während er die Innereinen der Steuerung freilegt. Mit einigen herzhaften Hammerschlägen gelingt es ihm den Einfluss des Autopiloten zu beenden – und nach einigen beängstigenden Augenblicken ist das Steuer wieder frei. Wir wenden uns von den Klippen ab und steuern nun – mit einigen Schweissperlen weniger im Körper – den Hafen an.

2 Gedanken zu „Geliebter Atlantik“

  1. Liebe Familie
    Mit Freuden und Spannung erwarte ich immer wieder euren neuen Blog Eintrag. Ich bin fasziniert davon, wie ihr das alles meistert und wünsche euch allzeit gute Fahrt. Tja, wahrscheinlich gibt es einen passenderen Ausdruck dazu 😉
    Ich habe vor ein paar Wochen zu Frau Wolf gesagt, sie war in unserem Bücherladen und hat Karten aufgefüllt, wie gerne ich eure Beiträge lese. Ich bin ja gar keine Seglerin, war aber viele Jahre als Fligt Attendant unterwegs und darum weiss ich wie es ist, wenn es einem immer wieder fort zieht…
    Danke, darf ich euch ein klein wenig begleiten – viel Freude auf den Kanaren und liebe Grüsse vom Thunersee
    Angelina Heusser

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert