Die Einfahrt in die Bucht von Cartagena ist überwältigend – die Bucht ist riesig, die Skyline beeindruckend. Unser Weg kreuzen sowohl Einbäume von Fischern als auch gigantische Frachtschiffe. Wir ankern mitten in der Stadt, direkt vor der Skyline und neben der Verladestation der Containerschiffe. Dies könnte bedrohlich wirken, ist aber vor allem spannend und so ganz anders, als all unsere Ankerplätze bisher.

Das Einklarieren ist kompliziert, dauert seine Zeit, kostet viel und kann nur durch eine Agentin gemacht werden. Doch dann können wir vom Schiff und es ist offensichtlich: Nun liegt Europa definitiv hinter uns – wir sind auf einem neuen Kontinent angekommen.
Cartagena ist eine gegensätzliche Stadt. Das Viertel Bocagrande besteht aus unzähligen neuen, richtig hohen Hochhäusern. Das Viertel Getsemani ist das In-viertel, das Viertel der aufstrebenden jungen Künstler, der hippen Bars und Restaurants, ein lebendiges Gewusel.




Dann gibt es das historische Zentrum, das ein wenig an ein restauriertes Havanna erinnert. Wunderschöne alte, verschnörkelte, farbige Kolonialhäuser.

Verlässt man diese Quartiere jedoch, ist die Stadt ziemlich schnell von Armut geprägt. Die Häuser sind klein, einstöckig, zum Teil wirklich nur noch Wellblechhütten ohne asphaltierte Strassen. Die Strassenränder sind gesäumt von Abfall, die Lebensumstände sind bedenklich.
Wir wissen alle von dem Problem des steigenden Meeresspiegels. Hier in Cartagena sind die Folgen plötzlich nicht mehr theoretisch, sondern hautnah. Schon jetzt werden die Uferstrassen Flut für Flut überschwemmt. Die Autos pflügen sich dann durch vierzig Zentimeter tiefes Wasser und rosten ziemlich schnell vor sich hin. Stiege nun der Meeresspiegel um einen Meter an, wird es diese Stadt so nicht mehr geben. Umso mehr erstaunen uns die vielen Neubauten von Bocagrande. Wer investiert bloss in solche Bauten, fragen wir uns?

Und trotzdem, uns gefällt es hier. Wir schauen uns die Stadt an, lassen uns durch die Quartiere treiben, geniessen Abend für Abend die atemberaubende Szenerie, beobachten die riesigen Verladekräne und werden etwas nervös, als ein riesiges brasilianischen Kriegsschiff zwanzig Meter neben uns vertäut wird. Die Stadt vibriert, es lebt. Die Menschen gefallen uns, es wird ausnahmslos zurückgelacht und Angst mussten wir bisher keine haben.
Schon länger stehen wir mit der hiesigen Schiffswerft in Kontakt. Geplant sind diverse Bootsarbeiten, wozu wir das Schiff wieder einmal aus dem Wasser heben müssen. Trotzdem dauert es seine Zeit, bis wir unseren Termin bekommen. Frühmorgens sollen wir dort erscheinen. Die Werft hat uns einen Anfahrtsplan zukommen lassen, auf welchem wir für den schmalen Anfahrtskanal mit Erleichterung eine Anfahrtsbetonnung ausmachen können. Die Realität sieht jedoch andres aus: Kein einziges Signal weit und breit. Wir navigieren mit dem GPS und machen zusätzlich Landpeilungen. Doch noch ist es nicht zu Ende – es beginnt wie aus Kübeln zu schütten. Die Landpeilungen sind hinfällig, da wir das wenige hundert Meter entfernte ufer nun nicht mehr sehen können. Als wir merken, dass sich unser GPS-Signal bereits auf dem Land befindet, wird uns endgültig flau, offensichtlich stimmt auch die digitale Karte ganz und gar nicht. Die Fahrt artet in einem völligen Blindflug aus und wir sind schlussendlich heilfroh, bleiben wir nirgends stecken und laufen nicht auf Grund. Dann kommt uns im schmalen Kanal eine riesige Barke entgegen, so dass wir uns ganz klein machen müssen. Wenn wir doch nur wüssten, wo genau wir überhaupt hinmüssen. Irgendwann finden wir das Kranbecken doch noch – bei strömendem Regen. Entgeistert lesen wir die Nachricht der Werft, dass unser Termin verschoben worden ist. So dann doch nicht! Nach einigem hin und her erklären wir uns bereit, die Box noch einmal kurz zu verlassen, um einem Kat Platz zu machen. Solange schmeissen wir mitten im Hafenbecken, umgeben von riesigen Frachtschiffen den Anker, um dann wiederum im strömenden Regen in die Box zurückzukehren.



Wir wussten ja schon, dass nun Regenzeit ist, doch mit so viel Wasser hatten wir nicht gerechnet. Es regnet tagelang ohne Unterlass in Strömen. Alles ist feucht, nass. Die vielen nassen Kleider versuchen wir mit Müh und Not im Boot zu trocken – sehr harzig. Bei den Kissen ist Hopfen und Malz verloren. Es regnet und regnet, die ganze Stadt wird noch mehr als sonst überflutet – und arbeiten kann natürlich niemand.
Wir haben schon fast nicht mehr daran geglaubt, doch irgendwann scheint die Sonne tatsächlich wieder. Wir beginnen, die mehrseitige To-Do-Liste abzuarbeiten. Es ist viel zu tun, zu organisieren, zu suchen. Das Unterschiff lassen wir durch die Werft machen. Leider schleifen sie zu engagiert und durchschleifen unseren Primer. Also müssen wir neuen besorgen und auch zusätzliche Farbe. Unsere Marke finden wir trotz verzweifelter Suche nicht, Lieferungen per Luftfracht von Gefahrengut ist schwierig. Schliesslich kaufen Freunde die Farbe in Aruba und geben sie einem französischen Segler mit nach Cartagena. Vielen Dank dafür!
Unsere Waschmaschine stottert. Wir begeben uns zusammen mit YouTube auf Fehlersuche und müssen schliesslich auf einen Schaden der Elektronik tippen – das einzige für uns nicht machbare. In einem Land mit 110 Volt können wir auch keine neue kaufen. Es ist einfach immer alles super kompliziert! ungewohnt unpraktisch, wenn man nicht einfach in den Laden spazieren und die Dinge erledigen kann. Sehr oft sind die Begehrlichkeiten schlicht und einfach nicht erhältlich – eine ganze neue Erfahrung. Und ja, wir finden eine Lösung für unsere Waschmaschine. Es ist eine Bastelei und jeder Waschgang wird umständlich, doch können wir weiterhin an Bord waschen.
Nach einem etwas holprigen Start finden wir auch einen guten Mittelweg zwischen Bootsarbeiten und Kinderanimation. Wir spielen unzählige Brändi Ahois (merci für das super Spiel!) und liefern uns allabendlich ein von der Weltmeisterschaft gefärbtes Fussballspiel. Und doch wird uns nun die Zeit hier langsam lang.
