Ausklang

Der Wechsel ist abrupt, der Kulturschock immens. Nach einem erneut für einen Jetlag prädestinierten Flug landen wir in San Francisco. Und es ist laut, es ist dreckig und es stinkt an jeder Strassenecke. Am Rotlicht sind wir Japangeprägten die einzigen, die stehenbleiben. Die Geographie, die Geschichte, die Ausstrahlung von San Francisco ist faszinierend – doch es geht ihr nicht gut. der Stadt nicht und den Menschen nicht. Unter anderem die droge Fentanyl hat breite Spuren hinterlassen und sorgt bei unseren Kindern für eine fundierte Drogenprävention. Die Zelte, die sich meilenlang dem Bahngleis entlangziehen und von tausenden gescheiterten Existenzen zeugen, bekümmern uns sehr. Immer wieder stossen wir auf verschiedene Anzeichen dafür, dass Land und Leute leiden – es ist sicherlich nicht die beste Zeit Amerikas.

Wir holen unser neues Zuhause für die nächsten Monate ab – und erschrecken. Das Gefährt ist riesig, massiv grösser, als alles was wir je hatten. Die ersten Meilen werden zur Zitterpartie und doch findet sich Patrick im Trucker Dasein schnell zurecht. Er macht sich gut und der einzige Kratzer, den wir einfangen, ist meiner Unachtsamkeit zu verdanken. So praktisch der Platz im Wagen auch ist, umso schlechter fühle ich mich als Bewohnerin dieser Dreckschleuder. Ich hadere wochenlang, verbrennen wir auch innert wenigen Wochen unseren gesamten Brennstoffverbrauch der letzten drei Jahre.

Die Grösse ist aber auch nur in Amerika möglich. Nur hier sind die Strassen und Parkplätze so gross, dass an ein Vorwärtskommen zu denken ist. Und wir sind mit unseren dreissig Fuss bei weitem nicht die Grössten. Im Gegenteil, wir sind schockiert ab der schieren Menge an riesigen Alltagsautos die durch die Strassen brausen. Ganz zu schweigen von den Millionen von Trucks, die nächtelang die Motoren laufen lassen, um die Klimaanlage benützen zu können.

Mit unserer Bella wandeln wir zuerst auf alten Spuren. Wir kreuzen die High Sierras, welche wir nur zu gut kennen. Leider liegt noch zu viel Schnee, als dass wir auf Wanderschaft hätten gehen können, doch für ein nostalgischen Gefühlschaos reicht es alleweil. Es ist kalt – ein ganz neues Gefühl. Und wenn wir nicht um eingefrorene Einzelteile der Bella hätten bangen müssen, würden wir die erfrischende Kälte in vollen Zügen geniessen.

Schneller als uns lieb ist, lassen wir Kalifornien hinter uns, kreuzen eine winzige Ecke von Arizona und finden uns schliesslich in Nevada wieder. Ein seltsamer Staat, wo wir unsere Nächte an einsamen Schlafplätzen mit ganzen Bergen von leeren Patronenhülsen verbringen, wo die Waffennarren ihre Liebsten noch am Gürtel tragen, wo definitiv nicht der Bär los ist. Aber auch dort finden wir sie, die einmalige nordamerikanische Weite. Hügelzug um Hügelzug soweit das Auge reicht, Wüste bis an den Horizont. Die Zivilisation kämpft darum, nicht ganz zu verschwinden, echte Wildnis wohin man blickt. Wir lieben es!

In Hanksville, einer kleinen Stadt im Nirgendwo, ist es soweit. Wir treffen uns wieder einmal mit meinem Bruder David und seiner Christina. Die Freude ist gross, lange haben wir darauf gewartet. Wie immer wenn wir zusammen unterwegs sind, finden wir einen guten Kompromiss, um allen in unserer kleinen Reisegruppe gerecht zu werden.

Gemeinsam erkunden wir das wunderschöne Utah. Wir halten uns dabei eher an die B- und C- Lagen und lassen die ganz grossen Hotspots links liegen. Wir tun gut daran, die Landschaft ist auch im Tal gegenüber traumhaft und spektakulär, nur die Menschenmassen bleiben weg.

Wir alle sind glücklich den achten Geburtstag unserer Lieben gemeinsam feiern zu können – ein schöner Tag!

Auf der Penelope Island im Salzsee von Salt Lake City sehen wir die langersehnten Bisons. Und David und ich werden während unserer Velotour von den Gnitzen gebissen wie kaum jemals in unserem Leben. Wir befürchten schon eine kleine Blutvergiftung so geschwollen sind unsere Drüsen. Immerhin war unsere Tour ansonsten der Hammer.

In Idaho sind wir wieder zu viert unterwegs. Uns gefällt der Staat – Und zum campen ist es einsame Spitze. Wunderschöne Plätze mit Feuerring, mit bester Aussicht, mit Brennholz, einfach allem was unsere Herzen begehren. Und das Schönste am Auto, man kann einfach bremsen. Es ist alles so herrlich unkompliziert. Alles ist verfügbar und wenn etwas kaputt ist – und es sind Dinge kaputt – greifen wir zum Hörer und ein anderer armer Kerl kümmert sich darum. Das Leben kann so einfach sein.

Patrick geniesst es, die Umgebung rennend zu erkunden. Ich tue es ihm schliesslich mit dem Velo gleich. Wir geniessen die persönliche Unabhängigkeit, die wir stückweise wieder zurückgewinnen.

Mit Oregon fühlen wir uns geistig verbunden. Die Menschen sind offen und fortschrittlich und wir verstehen deren Gesinnung etwas besser, als an anderen Orten in den USA. Insbesondere Bent gefällt uns sehr gut und mit den Sisters und dem Red Canyon befinden sich zwei wunderschöne Gebiete in direkter Nachbarschaft.

In Washington State verziehen wir uns umgehend auf die Olympic Peninsula. Die Wälder dort sind einmalig, verwunschen, üppig und einfach so grün.

Uns gefällt es dort fabelhaft. Und wir sind selber überrascht, wie sehr es uns am Meer gefällt. Wir dachten, davon hätten wir genug, doch die wilde Küste von Washington ist so sagenhaft schön und abwechslungsreich, dass wir dort gar nicht mehr weg wollen. Unsere Beziehung zum Meer hat sich verändert. Es ist nicht mehr fremd und unbekannt, es ist eher als würde wir einen guten alten Freund wieder treffen. Da ist eine Vertrautheit und ein Verständnis für das grosse Blau. Wir nehmen Abschied vom Pazifik, den wir lieben und den wir so schnell wohl nicht mehr sehen und fühlen werden.

Die allerletzten Wochen unserer Reise dürfen wir bei unseren guten Freunden nördlich von Seattle verbringen. Es ist ein schöner, ein stimmiger Abschluss. Wir geniessen die Zeit dort, geniessen die Zeit mit diesen lieben Menschen. Es ist als ob noch einmal ein Pausenknopf gedrückt wird, zwischen der langen Reise und der Rückkehr ins bekannte Leben. Die Zeit dort gewährt uns einen Stillstand dazwischen – den wir alle sehr geniessen. Danke dafür!

Und schliesslich ist es soweit: Wir fliegen zurück. Die Kinder, wir alle, freuen uns nun sehr und können es kaum erwarten, unser Zuhause, unsere Lieben wieder zu sehen.

Schade nur, dass es genau dann, die grösste Internetpanne der Geschichte geben muss. Etwas bange stehen wir in Frankfurt vor den Schalttafeln und sehen die lange Liste der gestrichenen Flüge. Als dann auch noch ein Zug nach dem anderen ausfällt, bekommen wir es schon etwas mit der Angst zu tun. Uns wird eindrücklich aufgezeigt, wie abhängig und hilflos wir sind, wenn es dann einmal nicht mehr funktioniert. Unverhofft bleiben wir also noch eine weitere Nacht im Hotel – zum Glück wusste unser Empfangskomitee dies bereits vor uns und steht nicht vergebens in Zürich. Als wir alle um zwei Uhr nachts hellwach im Hotelbett liegen, um drei Uhr fernsehen und um vier Uhr die erste Nudelsuppe schlürfen, wissen wir, der Jetlag hat wieder einmal brutal zugeschlagen.

Ein Tag später als gedacht kommen wir in Zürich an. Der Empfang ist überwältigend und die anschliessende Gartenparty bei Patricks Eltern gibt uns die Gewissheit, dass es gut ist, wie es ist.

Schön war es und wir sind unglaublich dankbar, dass wir das Privileg hatten, eine solche Reise als Familie unternehmen zu können. Uns ist sehr bewusst, dass wir damit zu einer absoluten Minderheit der Menschheit gehören.

So schön die Ungebundenheit auch war, wir freuen uns nun darauf, wieder in eine Gesellschaft eingebunden zu sein. Nachdem wir dem individualisierten Dasein in vollen Zügen frönen konnten, uns und unser Leben feiern durften, freuen wir uns nun auch wieder darauf, etwas beizutragen, dazuzugehören, mitzumachen und auch für andere da zu sein. Und wir sind dankbar, dass alles gut gegangen ist und wir alle gesund und munter zurückgekehrt sind. Voller Erinnerungen und mit neuen Erfahrungen, die uns und unser Leben auch in Zukunft prägen werden, die uns sicherlich verändert haben, uns zu den Menschen gemacht haben, die wir nun sind. Die uns die Welt, deren Probleme, die Menschen, unser Leben und uns selber anders wahrnehmen lassen. Die uns demütig und gelassener gemacht hat. Und wie es für die Kinder schlussendlich war, werden wir dann in zwanzig Jahren erfahren – wir sind schon mal gespannt😊.

Danke für Dein Interesse, schön warst Du dabei, bis auf bald – Beata Maria out!

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