Transatlantik

Tag 1 _ Der Wind bläst sachte, die Wellen sind abwesend. Es ist der grosse Aufbruch, rundum segeln etwa zwanzig Schiffe. Rally-Gefühle steigen auf. Bekanntlich braucht es für eine Regatta nur zwei Boote…

Die Angeln sind ausgerollt – und tatsächlich beisst ein Fisch. Doch so schnell er beisst, löst er sich auch wieder. Nur ein fliegender Fisch findet den Weg zu uns.

WIR BELAUSCHEN ANDERE BOOTE, DIE SICH PER FUNK ÜBER DIE INBETRIEBNAHME DES MOTORS AUSTAUSCHEN. IM GEGENSATZ ZU UNS HABEN SIE KEINE GEDULD MIT DEM LEISEN WIND.

Tag 2 _ Was ist mit unserem Grosssegel los? Es wirft unheimliche Rümpfe und hängt nur noch schlaff am Mast. Offensichtlich ist, dass es zuoberst nicht mehr gehalten wird und ständig weiter gen unten rutscht. Die Ursache können wir nur ganz oben ergründen – womit Patricks Mission klar ist. Mitten im Atlantik bei fünf Knoten Fahrt verschlägt es ihn also auf den Mast. Es schwankt wie verrückt und gelingt doch. Ein gebrochener Schäkel ist des Übels Ursache – Glück im Unglück, wir haben einen ähnlichen vorrätig. Das ganze Segel muss nun runter, um es kurz darauf erneut hochzuwuchten. Ein krampf aber Uff, geschafft!

Und was sind dies für seltsame signale auf unserem AIS? Die Beschreibung lautet auf 3 x 10 Meter grosse Dinger namens MY5 und MY7 und zwar direkt vor uns. Wir gucken, glasen und glotzen und erkennen trotzdem nichts – seltsame Sache!

Die Angel ruckelt, die Bremsen raspeln – die Goldmakrele, auch Mahimahi genannt, hat angebissen. Doch heute gewinnt sie. Kurz vor der Reeling kann sie sich  befreien und im blauen Nass entschwinden.  

Tag 3 _ Ein ruhiger Tag. Unser neues magnetisches Eilemitweile ist Trumpf. Bommel basteln, Butterzopf backen – und Patrick erwischt den Mahimahi nun doch. Frisch gefangen, frisch gebraten, eine Köstlichkeit.

Tag 4 _ Das Fischen treibt uns weiter um. Heute beisst ein richtig grosser Mahimahi. Doch der noch viel grössere Raubfisch beisst ihn direkt vor Patricks Nase von der Angel. Es muss ein Schwertfisch oder gar ein Hai gewesen sein – und nein, dies ist keine Räuberpistole.

Patrick sitzt während der Wache gemütlich im Cockpit und verliert sich in den unendlich vielen Sternen – Als ein Knall in aufschrecken lässt. Der fliegende Fisch hat seinen Kopf nur um Haaresbreite verfehlt.  

Tag 5 _ Und heute bekommen wir ihn, den grossen Mahimahi, der uns zwei feine Mahlzeiten beschert. Vielen Dank dafür!

Eine grosse Delfinschule aus Jungfischen begleitet unser Boot. Wir genissen ihr freudiges Spiel. Mittlerweile haben wir recherchiert: Delfine sind zu intelligent, als dass sie auf Köder beissen – unsere stete Sorge um die lieblichen Tiere war also unbegründet.

Rund um unser Schiff sind die Gewitter – es blitzt und donnert unablässig. Es ist als befinden wir uns in der Mitte, im ruhigen Auge. Die Blitze halten Abstand, nur der böige Wind bläht unsere gerefften Segel. Die technischen Geräte sind alle im Backofen – zur Sicherheit. Sollten wir nicht verschont werden, wären wir so zumindest noch navigations- und kommunikationsfähig. Die Gewitter sorgen für dauergespannte Nerven.  

Tag 6 _ Die schweren, grauen Wolken hängen tief. Der Wind schiebt uns nur langsam voran – direkt auf eine schwarze wolkenWand zu. Der Wind ist nun völlig weg – die Stimmung unheimlich. Wir folgen einer Eingebung und streichen die Segel – keine Minute später bricht der Teufel los. Der Windmesser zeigt fast vierzig Knoten – aus der falschen Richtung. Je länger das Unwetter anhält, desto mehr baut sich die See auf. Schliesslich können wir die Richtung nicht mehr halten und müssen ablaufen. Das Getöse hält acht Stunden an, während denen wir inständig hoffen, dass es nicht immer mehr werden wird und während denen wir einen Kurs fast in die gegenrichtung gen Südosten fahren müssen. Zwei riesige Brecher überrollen das Schiff und durchnässen das Cockpit. Wir atmen auf, als der Wind endlich nachlässt und wir den Kurs ändern können. Weit sind wir an diesem Tag nicht gekommen.

Und die Kinder? Die waren vor allem unzufrieden, dass sie das Cockpit verlassen und nur noch unten spielen durften. Ansonsten war ihnen das Ganze eigentlich egal.

Tag 7 _ Der Wind hat sich wieder verabschiedet, die Segel flappen nervenzerrend. Wir geben dem ungeliebten Genakker eine letzte Chance und versuchen ihn als Spinakker fliegen zu lassen – leider ohne Erfolg. Damit sind die Würfel gefallen: Er wird verkauft.

Und dann kommt die Flaute… Das Bad im unsagbar blauen Meer ist herrlich erfrischend.

Gemäss Wetterbericht wird nach der Flaute endlich der Passatwind einsetzen – jener, der uns eigentlich schon die ganze Fahrt stetigen Wind von hinten hätte bescheren sollen. Bisher kam der Wind meist von Norden oder von sonst wo, aber sicher nicht von hinten. Deshalb hatten wir auch darauf verzichten die Passatbesegelung zu setzen.

Die Flaute ist nun unsere Gelegenheit. Mit viel Ach und Krach ziehen wir die zweite Genua hoch. Als ich inmitten des riesigen, wild flatternden Segels stehe, dieses mit aller Kraft zu bändigen versuche und mein Blick über den weiten leeren Ozean schweift, wird mir so richtig klar, wie ganz anders meine Lebenswelt geworden ist. Kurz versuche ich mich an den Wochentag zu erinnern und stelle mir vor, was ich vor unsere Reise gerade gemacht hätte. Und trotz der Widrigkeiten und dem mich ohrfeigenden Segel stimmt es völlig, so wie es ist.

In der windstillen Nacht rattert der Motor.

Tag 8 _ Die Vorhersage stimmt nicht immer – die Flaute findet bereits wieder ihr Ende. Ein wunderbarer Segel Tag ist unser Geschenk. Die neuen Zwillingssegel funktionieren bestens und ziehen uns über das Meer dem Westen zu.

Tag 9 _ Zuerst sehen wir das Signal auf dem AIS und kurz darauf taucht sie hinter den Wellen auf. Wir haben die schwedische Familie seit Lanzarote mit verblüffender Zuverlässigkeit immer wieder angetroffen. Und so ist es auch mitten im Nirgendwo des grossen Atlantiks – wobei es für die ganze Fahrt das einzige Segelboot bleiben wird.   

Die Kinder vertiefen sich in ihre Rätselbücher und nur Zwangspausen verhindern die völlige Knobelerschöpfung.

Wir sind in unserer ganz eigenen Blase angekommen. Die Aussenwelt ist weiter weg denn je – und das ist ok. Das ganze Unterfangen fühlt sich nicht mehr ganz so surreal an wie zu Beginn. das uns dergleichen nun normal anmutet, ist noch fast seltsamer.

Tag 10 _ Ein fantastischer Segel Tag – mit gebauschten Segeln rauschen wir voran.

Die ganze Nacht ziehen Gewitter mit uns, aber neben uns her.

Die Zeit wird fliessend. Die Ankunft sehnen wir unerwarteterweise nicht herbei, sondern nehmen einfach hin, dass sie einmal kommen wird. Den Kindern geht es ebenso. Kein einziges Mal fragen sie wie lange es noch dauert oder wann wir ankommen. Sie nehmen es einfach so hin, wie sie – wie wir aus Erfahrung wissen – dann auch der Ankunft keine grössere Bedeutung beimessen. Es ist einfach so, wie es ist.

Unsere gemüter scheinen sich durch die Reduktion der Eindrücke – wir sehen nur noch Himmel und Wasser – zu beruhigen. Umso mehr Aufmerksamkeit ziehen die Wolken auf sich. In der unendlichen Weite des Himmels nehmen sie einen grossen Stellenwert ein und sind sehr oft wunderschön.  

Tag 11 _ Am Morgen kommt das Gewitter näher. Wir streichen die Segel, dümpeln für Stunden dahin und lassen es vorbeiziehen. Den ganzen Tag sind die Gewitter überall. WetterRader bekommt eine ganz neue Bedeutung. Es wird ein zerrender Tag mit flappenden Segeln und vielen Wolken.

Schlechte Nachrichten erreichen unsere Blase: Es gibt Komplikationen mit der Neuausstellung von Patricks verloren gegangenen Segelausweis und der Präfekt von Guadaloupe verlangt doch noch so einiges, bevor er uns die Einreise erlaubt. 

Tag 12 _ Die Wolken verziehen sich. Der Wind bläst. Wir fliegen dahin.

Tag 13_Noch immer schiessen wir mit guter Geschwindigkeit voran, doch wird es ruppig. Die Wellen von der Seite schütteln uns durch. In den Abendstunden steigern sie sich noch und kommen schliesslich mit einer Höhe von vier bis fünf Metern aus drei verschiedenen Richtungen.

Es kommt vor, dass uns ab der Gewaltigkeit des Meeres Bedenken kommen. Es ist viel Kopfarbeit, auf Bilder von uns in der winzigen Nussschale in den unermesslichen Wassermassen zu verzichten. Ganz sicher sind die Kinder eine sehr erschwerende Komponente – zu zweit wären wir ganz sicher ein grosses Stück unbeschwerter.

Tag 14 _ Wir brechen unseren Geschwindigkeitsrekord und sehen 11.8 Knoten auf der Anzeige.

Nach und nach wäre Ankommen auch eine schöne Option. Dies hat vermutlich einen direkten Zusammenhang mit den schmelzenden Meilen – Kopfsache! Jedenfalls kommen wir – begleitet von vielen Squalls – gut voran.   

Tag 15 _ Herrliche Segelbedingungen mit einer Priese Bordkoller allerseits.

Tag 16 _ Der Wind und damit das rasende Tempo verabschieden sich. Es erwarten uns dafür völlig friedliche Bedingungen. Endlich haben wir wieder die Musse zu fischen. Doch das Glück ist auf deren Seite – minus zwei Köder, minus ein Gewicht, ein halber Kalmar-Köder abgebissen.

Der Generator lädt unsere Batterien und der Wassermacher füllt unseren Tank.

Tag 17 _ Der Wind (und die Fische) entschwinden vollends. Aus einem Endspurt wird es nichts mehr, dafür aus einem gemütlichen Abschluss. Wir fühlen uns wie in den Ferien – baden, auf dem Deck lümmeln, spielen.   

Tag 18 _ More of the same.

Tag 19 _ More of the same

Natürlich war mir klar, dass die Welt zu zwei Drittel mit Wasser bedeckt ist und dass das Land und damit die Landtiere und – menschen eigentlich in der Unterzahl sind. Im Angesicht dieser unfassbaren Fläche Wasser, hat dies eine völlig neue, unmittelbare Bedeutung erhalten. Den grössten Teil der Welt beherrscht das Wasser und dessen Bewohner – eine uns nahezu verschlossene, riesige Welt. Und trotzdem fällt es mir schwer, zu begreifen, dass diese andere Welt direkt unter dem Wasserspiegel beginnt und sich schier bis ins Unendliche hinzieht. Ein Grund für Demut und das Bewusstsein für die Winzigkeit unseres Daseins.

Tag 20 _ Dies ist voraussichtlich der letzte Tag. Wir wollen bei Tag ankommen und reduzieren deshalb die Segelfläche. Unglücklicherweise nimmt der Wind genau jetzt wieder zu und wir schiessen quasi ohne Segel nur so dahin. Gerne hätten wir den Schluss dümpelnd verbracht und hätten nicht noch befürchten wollen, durch einen Windshift neben der Insel hindurchzufliegen.

In der Ferne sehen wir Blitze, doch sie bleiben zum Glück weit weg. Und ja, es gibt wieder andere Schiffe.

In der Nacht sehen wir die ersten Lichter. Land in Sicht! Die Stimmung bleibt gespannt, noch haben wir die sichere Bucht nicht erreicht.

Mit den ersten Sonnenstrahlen erreichen wir Marie Galante – unser Ziel. Im anbrechenden Tag folgen wir ihrer Uferlinie, umfahren zahlreiche Hummerfallen und lassen schliesslich den Anker in der Bucht von Saint Louis fallen – ungläubig, erlöst, stolz, neugierig, glücklich!

4 Gedanken zu „Transatlantik“

  1. Gratuliere!
    Das ist ja wirklich cool – über den Atlantik!!!
    Wünsche euch weiterhin gutes Segeln, tolle Erlebnisse und eine gute Zeit als Familie!
    Lese immer wieder gespannt, was ihr so macht! Tolle Berichte und super geschrieben!
    Herzlich, Rachel

  2. Hallo Ihr Lieben
    Haben gerade alle zusammen diesen tollen Beitrag angeschaut! Wow! Gratulation zu dieser wahnsinnigen Überfahrt und natürlich auch dem grossen Fang – Pascal und André sind fast ein Bisschen eifersüchtig auf den Mahimahi :-). Danke für die vielen beeindruckenden Einblicke von eurem Abenteuer, die ihr uns hier ermöglicht!
    Wünschen euch weiterhin immer den richten Wind in den Segeln und eine gute Zeit – und ist der See zu Ende, fahren wir ne Wende 🙂
    Liebe Grüsse und eine Umarmung aus der Ferne
    Pascal, André und Céline

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