schreckgespenster

Die dreitägige überfahrt von Niue ins Königreich Tonga beginnt prächtig bis uns nach und nach der Wind verlässt. Die letzten zwanzig Seemeilen legen wir schliesslich unter Motor zurück. Kaum erreichen wir die INSEL, WERDEN WIR AUCH SCHON VON DEN ERSTEN wALEN EMPFANGEN – UNGLAUBLICH, ABER WIR SEHEN MEHR Wale als Delfine.

Das Königreich Tonga besteht aus drei Inselgruppen. Wir landen in der nördlichSten der Vava’u – gruppe an. Auf den ersten Blick wähnen wir uns in nordischen Schären – nur die Temperaturen sind alles andere als nordisch. Wie Fjorde winden sich die Meeresarme durch die Insellandschaften – und grün ist es.

Tonga ist ganz offensichtlich nicht mehr europäisch. Man bezahlt mit Pa’anga und die Sprache ähnelt in unseren Ohren dem tamilischEN – wir mühen uns mit den einfachsten Redewendungen ab. Auch der Kleidungsstil ist eigen. Männer tragen oft ein rockähnliches, um die Hüften gewundenes Tuch. Manch einer trägt zudem eine Art Strohmatte um seinen allerwertesten gebunden. Die Kleidung der Frauen ist meist schwarz, Schultern und Knie sind bedeckt.

Uns fällt auf, dass die Tonganer sich sehr oft im Auto aufhalten. An jeder Ecke parkt ein Fahrzeug, in welchem zum Teil ganze Familien über Stunden verweilen. Weshalb sie dies tun, erschliesst sich uns nicht. Die Klimaanlage kann es nicht sein, schliesslich stehen die Fenster offen. Sind wohl die Autositze bequemer als die Sitzgelegenheiten zu Hause?

Auf unseren zahlreichen Spaziergängen durch das Dorf, entdecken wir fliegenden Hunde. Wie riesige Fledermäuse hängen sie tagsüber kopfüber in ihrem Baum , um In der Abenddämmerungen dann ihre Kreise zu ziehen.

Wir ergänzen unsere Vorräte, füllen Wasser und treiben einen Schweisser auf, um einen schaden zu beheben. schliesslich machen wir uns – wiederum in Begleitung von Walen – in die mittlere Inselgruppe, die Ha’apai – Gruppe, auf. Diese Inseln unterscheiden sich deutlich von ihren nördlichen Nachbarn. Es sind unzählige, teilweise winzige Eilande mit traumhaften unberührten, weissen Stränden. Ein letztes Mal frönen wir dem süssen Inselleben. Wir machen Stundenlange strandspaziergänge, finden perfekte Muscheln, baden nach Herzenslust, sitzen abends in netter gesellschaft am Lagerfeuer und knacken Kokosnüsse frisch von den Bäumen. Ein Hundeleben ist das!

Doch langsam ziehen am Horizont dunkle Wolken auf. Die berüchigte Überfahrt nach Neuseeland ist in aller Munde. Fast zuviele Gespräche drehen sich um den optimalen Zeitpunkt, um Wetterbedingungen, Tief- und Hochdruckkonstellationen. Einige segeln los, kehren jedoch wieder um, da sich der erste Zyklon Lola zusammenbraut. Noch nie wurde so früh im Jahr ein Zyklon der Stärke fünf registriert.

Irgendwann hat sich Lola verzogen und wir bereiten uns langsam auf unsere letzte Überfahrt vor. Es lässt sich nicht leugnen, dass sie uns nervös macht. Die Wettersysteme sind alles andere als stabil und das Damoklesschwert eines aufziehenden Sturms schwebt weiter über unseren häuptern. Die strecke betägt ereneut einen halben Atlantik, rund 1’200 Meilen. also zu lange als dass man bei der Abfahrt schon Gewissheit bezüglich der Wetterverhältnisse am Ende haben könnte.

Wir brechen unsere Zelte ab und segeln los – doch bereits bei der südlichsten Inselgruppe Tongas, Tongatapu, änderen wir unsere Meinung. Zu nahe ist uns der nächste Sturm, zu kurz die Pufferzone zwischen seiner und unserer Zugbahn. Es ist anstrengend, die Abfahrtsnervosität schlägt um in Entäuschung, Ungewissheit und erneute Nervosität – werden wir wohl noch irgendein vernünftiges Wetterfenster finden? Die Herdenmentalität setzt zu, schliesslich sind ganz viele andere – eigentlich die meisten -losgezogen. Hätten wir auch sollen? Haben wir richtig entschieden? Und noch immer haben wir diese vermaledeite Überfahrt vor der Brust.

Wir versuchen uns abzulenken und schauen uns Nuku’alofa an. Immerhin mit dem kleinsten Königspalast der Welt. Den König selber treffen wir nicht an, doch lesen wir einige Kuriositäten seiner Regierungsfähigkeiten. Wenn es interessiert – es lohnt sich! Wie man es nicht tun sollte… Tonga – Wikipedia

Natürlich behalten wir stets das Wetter im Auge und tatsächlich braut sich der nächste Zyklon zusammen – „Mal“ rollt an. Und es kommt schlimmer: Eines Abends lassen uns die Wetterprognose wissen, dass „mAL“ voraussichtlich geradewegs über uns ziehen wird – und zwar mit richtig viel Wind – bis zu siebzig Knoten sind angesagt. Dazu muss man wissen, dass Nuku’alofa bereits vor kurzer Zeit von einem Zyklon und einem Tsunami getroffen worden ist, die beide grosse Schäden hinterlassen haben. Der Hafen wurde grösstenteils zerstört und bietet uns keinen Schutz. Die einzige Ankerstelle ist gegen den anrollenden Sturm hin offen und bietet ebenfalls keinen Schutz. Wegsegeln lässt der Wind nicht zu – wir sind gefangen. Wir beginnen damit, Hotels aus Beton zu suchen. kommt es zum schlimmsten, würden wir die alte Dame halt vor Anker – wohlgemerkt unversichert, da wir das Gebiet schon hätten verlassen müssen – zurücklassen und würden uns verkriechen. Jenes Hotel, welches wir ins Auge fassen, vermeintlich gut geschützt hinter dem Königspalast, wurde jedoch schon vom Tsunami zerstört.

Und einer geht noch immer: wie jeden abend hören wir die wettermeldungen über funk. und da kommt die warnung wegen vulkanischer aktivitäten. Ich spüre wahrlich wie mir alles Blut aus den Wangen weicht und ich weiss im Gesicht werde. Ich kann mich kaum mehr auf die Worte konzentrieren. Jetzt kommt er, der Tsunami – noch vor dem Zyklon. Mir reicht es endgültig, mir ist es zuviel.

Und doch kommt alles gut: Die vulkanischen Aktivitäten sind etwa 120 Meilen weiter nördlich und die Auswirkungen reichen nicht bis zu uns. Die Zugbahn des Sturms wird mit jedem Tag weiter südlich verlegt und  wir bekommen schlussendlich kaum etwas ab. Und doch, mein Nervenkleid bleibt nachhaltig zerrüttet. Selten in meinem wahrlich behüteten Leben erlebte ich solch eine andauernde Anspannung, Bedrohung und ohnmacht.

Einmal mehr wird uns wieder vor Augen geführt, welch behütetes und versichertes Leben wir doch führen. Trotz aller Bedrängnisse können wir zur Not alles stehen und liegen lassen und davon fliegen. Die Menschen hier müssen die Umstände ertragen, mit ihnen zurechtkommen. Der Tsunami hat manch eine Existenz zerstört und deutliche spuren in den seelen der Menschen hinterlassen. Big Mama schildert uns ihre Angst vor kommenden Katastrophen und wie sie ständig auf die geräusche des nächsten Tsunamis lauscht.

Die Versorgung, die Möglichkeiten und Mittel sind gerade im Königreich Tonga sehr beschränkt. Dies fällt uns erstmals wie Schuppen vor Augen, als wir am Strand auf unzählige portugiesische Galeeren stossen. Nicht auszudenken wären zum Beispiel die Kinder mit deren supergiftigen Tentakel in Berührung gekommen. Wir hätten keine Chance. Viel zu lang und umständlich ist der Weg zur nächsten medizinischen versorung. Diese Erkenntnis geht uns unter die Haut. Ebenso als wir die verschiedenen umweltkatastrophen vor der Brust haben. die Tonganer wären wohl zu sehr damit beschäftigt, sich selbst zu retten, als dass noch Mittel für irgendwelche Segler vorhanden wären. Eine unheimliche, eine beherrschende Ernkenntnis. Wir sehnen uns eindringlich nach Sicherheit.  

Als schliesslich auch „Mal“ durchgezogen ist, sehen wir unsere Chance kommen. Auch wenn es kein perfektes Wetterfenster ist, wir wollen es nehmen. Immerhin verspricht die Prognose in der Tendenz eher zu wenig als zu viel Wind, was uns deutlich lieber ist, als anrollende Zyklone. Wobei diesbezüglich die Gefahr natürlich nicht gebannt ist. Deshalb laden wir während der Überfahrt regelmässig riesige Datenpakete an Wetter herunter, um zumindest zu wissen, was uns erwartet.

Tatsächlich wird die Überfahrt eigentlich zu einer der schönsten seit langem. Sehr oft haben wir traumhafte Bedingungen. Wenn nur die drohenden Stürme nicht wären. Dadurch bekommt die Flaute regelrecht bedrohliche Ausmasse. Was wir sonst geniessen, wird zu einer Nervenprobe. Während wir dort auf der Stelle schaukeln, bildet sich im Norden vielleicht bereits der nächste Zyklon, welcher uns dann unweigerlich einholen würde. Und doch gelingt es uns zumindest kurzzeitig immer wieder die schönheit der see in vollen zügen zu geniessen.

Nach vierzehn Tagen taucht vor uns die wunderschöne Küste Neuseelands auf. Uns fallen ganze Berge von den Herzen, wir sind sehr erleichtert anzukommen. Diese letzten Wochen haben uns noch einmal sehr viel abverlangt, eigentlich mehr als uns lieb war. Der nächste Zyklon bildet sich zum Glück erst zwei Tage später.

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