Die Überfahrt von Bora Bora nach Niue dauert acht Tage, ist schnell und ruppig. Die Wellen sind vier Meter hoch, werfen das Boot zur Seite und uns durchs Boot. Wir fühlen uns regelrecht geprügelt. Eine besonders wilde Welle prallt mit solcher Wucht gegen die Seite, dass mitten in der Nacht eine Schranktüre aufspringt und sich eine Flut von Konserven über den schlafenden Patrick ergiesst. Darunter sind leider auch Gläser – die Mischung aus Bolognese und Apfelmus mit Vanillegeschmack, garniert mit einer dicken Schicht Mehl, verteilt über den ganzen Boden und weite Teil des Sofas sind kein Spass.
Wir hatten es gar nicht mehr wirklich auf dem Schirm, aber die Strecke beträgt etwas mehr als 1000 Meilen, also einen halben Atlantik. Glücklicherweise sind wir in der Zwischenzeit etwas abgebrühter, was die Strecke, aber auch die Bedingungen betreffen. Zu Beginn der Reise hätten uns diese Wellenberge gelinde gesagt beunruhigt, nun nehmen wir sie zwar als unbequem, aber nicht mehr angsteinflössend war. Wir sind besser geworden, was die Beseglung betrifft und getrauen uns, mehr Tuch zu tragen– wodurch wir bedeutend schneller geworden und das Schiff auch ruhiger durchs Wasser gleiten lassen können. Und trotzdem fühlt man sich dort draussen, umgeben von tosendem Wasser schon sehr klein und unbedeutend. Besonders wenn die Sonne hinter dicken, dunklen Wolken verschwindet, das Wasser eine bedrohliche graue Farbe annimmt, dann gilt es, die Gedanken bei der Stange zu halten und sie nicht in die unglaublichen Tiefen von 5000 Meter gleiten zu lassen.
Es ist gut, dass wir schnell sind, denn bald schon kommt der Starkwind. Bevor es mit vierzig Knoten pfeift, wollen wir Niue unbedingt noch erreichen. Wir sind etwas nervös, ob wir die Insel auch wirklich treffen. Gross ist sie nicht und bekanntlich lässt sich nicht jeder beliebige Winkel segeln. Zudem ist der Wind in seiner Richtung nicht stabil, mal kommt er von Nordosten mal von Südosten. Das tönt undramatisch, doch zwingt uns dies je nachdem die gesamte Segelgarderobe zu wechseln. Wie gesagt ist die Landmasse klein, die Strecke jedoch weit, weshalb wir uns nur um wenige Grade verkalkulieren dürfen. Mit mehr Glück als exakter berrechnung erwischen wir den richtigen Winkel für unsere Halse und können der kurzen Küste entlang in Niues einzige Bucht segeln.
Wir wussten bereits, dass Niue bekannt für seine Wale ist. Tatsächlich ist mir dies schon die ganze letzte Nacht durch den Knopf gespukt – einen in der Dunkelheit rammen wollen wir schliesslich unter keinen Umständen. In der letzten Stunde trödeln wir absichtlich, so dass wir erst mit dem ersten Tageslicht in der Bucht von Alofi ankommen. Und wer kommt uns da schon zwanzig Meter neben dem Boot entgegen? Der Buckelwal mitsamt seinem Baby.
Die Bucht ist zu tief zum Ankern, doch hat der hiesige Segelclub ein gutes Dutzend Boien installiert. Wir sind überrascht, dass wir das einzige Boot weit und breit sind – aber warum auch nicht. Tatsächlich kommen im Verlauf der nächsten Tage noch eine Handvoll Boote an, die allesamt den Schutz der Bucht in Anspruch nehmen wollen. Einige die dies nicht taten, sehen wir später entmastet wieder. Später schauen wir uns die brecher auf der windzugewandten seite der insel an – sie sind mächtig.
Die Bucht hat keinerlei Anlegestellen, weshalb wir das Dinghy stets an Land kranen müssen – zur grossen Freude unserer kleinen Kranführer.
Die Küste ist steil und steinig, erinnert eher an Schottland als an die Südsee. Überall auf der Insel finden sich ganz besondere Plätze, welche durch liebevoll angelegte Pfade erreicht werden können.
Wir treffen auf tiefe Höhlen, gesäumt von Stalaktiten und Stalagmiten. Der Fels, das Meer, die Korallen – alles leuchtet in unglaublichen Farben, kraftvoll und intensiv.
Dies trifft auch auf die hiesige Seeschlange zu. Schwarz-weiss geringelt sieht sie sehr schön aus, doch wie wir lesen hat sie es in sich. Ihr Gift ist viermal stärker, als das der Kobra – sind wir also froh, setzt sie es bei uns nicht ein. Viele von ihnen hat es alleweil – am Ufer ist die Kinderstube, rund ums Boot schwimmen die Eltern.
Es leben nur 1’500 Menschen auf der Insel. Die allermeisten Niuaner sind 2004 nach einem verheerenden Wirbelsturm nach Neuseeland gegangen. Dies sieht man der Insel an – viele Häuser stehen leer, einige sind bereits zerfallen. Und doch ist es ein unabhängiger Staat, auch wenn eine enge Kooperation mit Neuseeland besteht. Es hat nicht weniger als neun riesige Kirchen auf der kleinen Insel – der Glaube wird dank den emsigen Missionaren ernst genommen. Sonntags herrscht strikte Ruhe, die Strassen sind menschenleer – nur aus den Kirchen erklingen die vielstimmigen Gesänge. Mit dem Christentum wurde auch eine Veränderung des Totenkults auf die Insel gebracht. Früher wurden die Toten in eine Höhle gelegt und zwar solange bis nur noch die gebeine übrig blieben. Diese wurde dann endgültig mitsamt weltlicher Reichtümer in einer anderen Höhle für die Ewigkeit hinterlegt. Die Ankunft der Christen auf der Insel erlaubten diese Handhabung nicht mehr. Die Folge ist, dass sich die oft üppigen Gräber nun auf der ganzen Insel an den Strassenrändern oder auch in den Gärten der Häuser befinden – was einem das Gefühl vermittelt, sich auf einem einzigen grossen Friedhof zu befinden.
Die Bucht von Niue ist unglaublich fischreich. Da kaum Fischerei betrieben wird und es auch nur sehr wenige touristische Aktivitäten gibt, leben die Fische mit dem Menschen. Die Delfine schwimmen ihre Runden um das Boot und als wir mit dem Dinghy unterwegs sind, schwimmen sie in Armlänge Abstand mit uns mit. Ebenso die Wale – täglich schwimmen sie direkt ums Boot. Es sind Buckelwale, Seiwale und Pottwale. Es ist überwältigend sie so hautnah und in solchem Übermass erleben zu können. Mitten in der Nacht wachen wir auf – und trauen unseren Ohren nicht. Die Wale singen uns ein Lied! Direkt neben dem Boot hören wir ihre Gesänge, wobei wir bis dahin nicht einmal wussten, dass unser Gehör diese überhaupt wahrnehmen kann. Was fehlt einem da noch zum Glück?
Vielen herzlichen Dank für den prickelnden Bericht mit den ergreifenden Schilderungen der ruppigen Ueberfahrt. Auch mit den ausgeschütteten Reste liesse sich eine Minestronen Suppe machen. Schön dass ihr nach diesen Strapazen durch die vielen Begegnungen mit den Walfischen und Delfinen reichlich entschädigt wurden. Solch einmalige Erlebnisse sind ausser ein paar Seglern und den Inselbewohnern, den übrigen Menschen vorenthalten. Ihr könnt euch glücklich schätzen.
An solchen Orten gewinnt man den Glauben an eine intakte Umwelt für kurze Zeit zurück.
Bon voyage !
Ich bin absolut begeistert von euer Geduld, Geschick und Mut! Danke für das Teilen eurer Erlebnisse! Unglaublich! So wundervoll diese Tiere so hautnah erleben zu können! M’ein Traum!
Ich wünsche euch weiterhin eine traumhafte Reise!